Mittwoch, 20. Juni 2012

Om mani padme hum - oder: ein Trip mit Fremden

Wenn wir kleine Kinder sind, wird uns beigebracht, dass wir mit Fremden nicht mitgehen dürfen. Aber diese Einstellung behalten wir für gewöhnlich auch bei, wenn wir alt genug sind, einschätzen zu können, welche Fremden gefährlich für uns sind und welche nicht. Dies ist eines der Attribute, das bei jedem Menschen anders ausgeprägt ist. Und bei mir ist das so...

Vor einigen Jahren schnappte ich mir mein gespartes Trinkgeld, das ich mir redlich verdient hatte, aus Zeiten, in denen ich mir die sich ständig wiederholenden Geschichten besoffener Bargäste und Ratschläge noch besoffenerer Weltenverbesserer anhören musste. Das gehört zu einer guten Thekenschlampe eben dazu..

Ich schnappte mir also die Kohle, kaufte mir ein Flugticket für 99 Cent plus Steuern & Co und flog nur mit einem Rucksack, einem chinesischen Halsketten-Glücksbringer meiner Mutter und diversen Quick-Snap-Kameras nach London. Ich kannte keine Sau und erstmal in London angekommen, hatte ich auch keinen Plan wo ich überhaupt war. Mein Ziel: Ich wollte mit so wenig wie möglich soviel wie möglich sehen. Und ich sah eine ganze Menge.


Arrival in Limerick
Ich kam über eine ehemalige Arbeitskollegin in einer Lehrerfamilie unter, danach bei einer Bekannten von ihnen. Dort lebte auch eine Austauschstudentin aus Frankreich. Um einen Luftzug meiner frisch gewonnenen Freiheit mitzuerleben, flogen wir gleich darauf weiter nach Südirland - damals waren die Billigflieger wirklich noch billig. Am Flughafen gabelten wir ein Mädel aus Trinidad-Tobago auf und zu viert mieteten wir uns einen Kleinwagen und genossen Pubs, Folkmusik, die Cliffs of Moher und den Connomara National Parc. Nachts schliefen wir zu viert in dem kleinen Ka. Wir waren uns vollkommen fremd. Wir verbrachten ein tolles gemeinsames Wochenende und blieben danach leider nicht so intensiv in Kontakt, wie wir es uns vielleicht wünschten.

Cliffs of Moher

Wieder in England, begannt mein wahrer Trip thru GB. Ich fuhr mit dem überteuerten Zug nach Winchester und schwor mir, neben dem tatsächlich sehr erfurchtgebietenden Besuch der Tafelrunde und des Gartens von Eleonore von Aquitanien, nie wieder so viel Geld für eine so geringe Strecke hinzublättern. Ich hielt Wort und fuhr von da an nur noch mit dem "goldenen Daumen". Die Tatsache, dass es November und arschkalt war, sorgte unter anderem dafür, dass ich nie lange auf eine Mitfahrgelegenheit warten musste.
So beispielsweise Rita.
Rita* kam gerade von einem Blondie-Konzert, zumindest glaubte das ihr Mann. In Wirklichkeit hatte sie sich an der Küste mit einem amerikanischen Soldaten getroffen, in den sie sich unsterblich verliebt hatte. 

Stan und Ray*
Über Salisbury, wo ich meine Ratte Emma bei Stonehenge kennen lernte, fuhr ich Richtung Glastonbury. Auf dem Weg dort hin stieg ich immer wieder zu sehr merkwürdigen Leuten ins Auto. Alle waren sie herzensgut zu mir. So wie Stan und Ray*, zwei Väter, die mich mitnahmen und bei denen ich auch unterkam, da die örtliche Jugendherberge geschlossen hatte - für gewöhnlich kommen eben keine Touris im dicksten Winter. Die beiden gaben mir nicht nur ein Bett und etwas zu essen, sie zeigten mir auch die Gegend, machten einen Tagesausflug mit mir und wir "aßen jede Menge Sandwiches" - falls ihr versteht... :D
Auf dem Glastonbury Tor lernte ich einen weiteren Fremden kennen, der mich durch Nebel und Ödland auf sein Zimmer brachte, wo ich ihm die Karten legte. Scheinbar sagte ich ihm das Richtige, denn er lud mich zum Essen ein und brachte mich am nächsten Tag über die Grenze nach Wales - was für ihn ein Umweg von ca 80 Kilometern war.

Nachdem ich in Glastonbury war, hatte ich eigentlich kein richtiges Ziel mehr. Ich wollte Menschen treffen, ihre Geschichte hören. Und das geht ganz wunderbar an einer Motoway-Auffahrt Richtung Norden. Ein alt eingesessener Trucker aus dem Sherwood Forest hielt für mich und ich fuhr seine gesamte Tagesstrecke bis nach York mit. Wir redeten den ganzen Tag und waren trotz unseres wirklich großen Altersunterschiedes total auf einer Wellenlänge. Er brachte mich an ein Hotel in der Nähe dessen, wo auch er und seine Truckerkollegen unterkamen. Dann lud er mich in seinem Führerhäuschen zum Truckerabendbrot ein. Anschließend gab es Yorkshire Carbarett inmitten einer Horde alter, bulliger Trucker. Ich verstand kein Wort. Aber ich fühlte mich wohl. Und so sicher wie kaum je wieder in meinem Leben. Wir blieben in Kontakt, bis heute.

Jetzt wo ich an ihn denke, könnten wir mal wieder telefonieren...

Monk Sam
Weiter Richtung Norden geriet ich in eine der wenigen heiklen Situationen. Ich faselte etwas von 9 Millimetern und wurde mitten im Nirgendwo auf der Landstraße zum Arsch der Welt rausgeschmissen. Es war besser so, das wusste ich. Aber es war kalt, wurde dunkel und ih fand mich schon damit ab, diese Nacht unter freiem Himmel zu verbringen, als Bhudda mir Sam' schickte.

Roxx an der schottischen Grenze
Im ersten Augenblick glaubte ich, der Typ wäre einfach nur ein bisschen plemmplemm. Wie sich herausstellte ist er bhuddistischer Mönch und kam er grade von der Montage. Er fuhr mich über die Grenze nach Schottland, hielt dort sogar für mich und bannte den Moment für mich auf Quick-Snap. An der Jugendherberge angekommen, stellten wir fest, dass auch diese geschlossen war. Er nahm mich deshalb mit zu seiner Frau nach Hause. Als diese mein chinesisches Halskettchen sah, schrie sie "Om mani madme hum"*², riss ihren Mann aus dem Gebet und schmiss die Katze raus, damit Emma es sich gemütlich machen konnte. Ich durfte baden und sie liesen etwas vom Chinesen kommen. Am nächsten Tag fuhr Sam mich an seinem freien Samstag zwei Stunden nach Edinburgh, damit ich eine gute Stelle für den nächsten "Hitch" hatte. "Never move to Glasgow" sagte er mir noch zum Abschied, "Girl there have scars." Ich nahm es mir zu Herzen.
Wir simsten lange Zeit noch, dann verlor ich Handy und Nummer...

Nun, ich könnte jetzt noch stundenlang so weitermachen und von Leuten erzählen, mit denen ihr euch weder identifizieren könnt, noch das ihr sie eventuell mögen würdet. Fakt ist auf jeden Fall, jeder dieser Menschen hätte mich im Schlaf aufschlitzen können. Und ich hätte viele Buden leerräumen und jede Menge Autos stehlen können. Und da ja ständig alles eine Moral haben muss, und ich mir die Mühe ja nicht grundlos mache, möchte ich euch doch das eine auf den Weg, wohin er euch auch führt, mitgeben.
Da draußen lauern viele Gefahren, das ist kein Geheimnis. Und ich rate niemandem, es mir einfach nachzumachen. Doch wenn ich eines gelernt habe in meinem bisher doch recht jungen Leben, dann ist es Folgendes:

Wenn du nicht bereit bist einem Fremden zu vertrauen, wirst du nie erfahren, inwieweit er bereit ist, die zu vertrauen. Es gibt so viele wunderbare Menschen da draußen. Lass dich nicht von den paar faulen Eiern abschrecken. Genieße das Leben und teile es, besonders mit dem Unbekannten von der Straße.



* Alle Namen geändert
*² Ein Mantra: http://de.wikipedia.org/wiki/Om_mani_padme_hum








1 Kommentar:

  1. ich liebe es, ich kööte mir die Geschichten immer und immer und immer und immer wieder anhören.

    So ein Trip möchte ich auch noch machen.

    AntwortenLöschen