Dienstag, 18. September 2012

My Skin Tells A Tale

Verdammt noch mal, wir leben im 21ten Jahrhundert! Ihr geht einkaufen oder in den Park, sitzt im Bus oder schlendert durch die Straßen - und sie sind überall! Männer, Frauen, Jugendliche mit wunderschönen Geschichten auf ihrer Haut. Geschichten von Phönixen, die mit Kois schmusen, Helden, die sich aus dem Inneren ihres Trägers freikämpfen, wunderschöne Frauen oder biomechanische Gelenke, die zeigen, wie kalt es unter der Haut wirklich ist...

Eines meiner absoluten Lieblinge. Habe leider keine Quelle :(
Diese Kunstwerke - ja, ich sage bewusst Kunstwerke - sind nun wirklich keine Seltenheit mehr. Tattoos sollten mittlerweile nun wirklich gesellschaftsfähig sein, oder? Ha, denkste! Auf der Arbeit müssen wir sie verstecken, auf Familienfeiern lösen sie noch immer Diskussionen aus. Häufig werden diese geführt mit Leuten, die "schon lange überlegen, ob sie den Schritt wagen sollen", es dann aber doch besser finden, Tattoowierte mit lächerlichen Argumenten vollzusülzen. Mein absoluter Liebling: "Wenn du alt bist, sieht das total scheiße aus"
Note: Wenn ich alt bin, sieht meine Haut im allgemeinen scheiße aus. So ein bisschen Farbe ändert das zwar nicht, aber zumindest gibt es dann noch einen Grund sie anzusehen...

Und auch alles andere, was großzügig unter den Begriff "Body-Modding" fällt, ist doch längst im Hier und Jetzt angekommen. Piercings in Nasen, Zungen, Nippeln oder Schamlippen, ob zu sehen oder nicht - da schreit keiner mehr "Ihhh!" oder "Oohh!". Dennoch musste ich für die Arbeit den Ring in meiner Nase gegen einen Stecker tauschen - und auch nur, weil ich den schnell rausnehmen kann, wenn ich mit Chef oder Kunden zu tun habe.

Einmal dehenn, bitte!
Gedehnte oder gepunchte Ohre - längst nichts Besonderes mehr. Tunnel, Plugs in allen Formen und Farben, sogar als Fake, sind der klare Beweis dafür, dass die Auffassung von Schönheit und Estetik längst nichts mehr mit Barbie oder Dior zu tun haben. Und mit Jugend erst recht nicht!
Erst kürzlich stand ich bei Penny an der Kasse, wo eine Mutter - wahrscheinlich Anfang 40 -, mit ihrer vielleicht elfjährigen Tochter stand. Die Mutter betrachtete meine Ohren und erklärte ihrer Kleinen "Guck, so sieht das dann aus, wenn man mit der Dehnsichel fertig ist und einen Tunnel in das Loch setzt." Ich gestehe, es war schon etwas seltsam, hätte ich es doch eher anders rum erwartet. Die Tochter schien sogar etwas gelangweilt, vielleicht war ihr ihre Mutter auch peinlich. Auf jeden Fall wandte sie sich ab, während die Dame mittleren Alters mich interessiert ansprach, wie lang ich für die 18 Millimeter gebraucht hätte...

Ja, Body-Modding ist längst in sämtlichen Generationen angekommen. Die Kids sind es gewohnt, die Eltern wissen auch worum es geht und Rentner fragen undgeniert und interessiert. Mögen sie es? Nicht unbedingt. Aber tolerieren sie es? Meistens.

Grenzt an Köperverletzung...
Dennoch müssen wir Tats, Piercings und Plugs auf der Arbeit verstecken. Wo bleibt denn da die Logik?

Die aufdringliche Kassiererin bei Nessler darf ja auch mit ihrem grellen Nagellack shocken. Und wer kennt nicht die eine oder andere Servicekratf, die bei ihrem Make-Up ganz klar in den Pinsel gefallen ist? So manche Kleider-Kombi hat bei dem einen oder anderen schon Augenkrebs im Endstadium ausgelöst - und das ist dann ok?

Muss man denn wirklich "alternativ" sein, um Body-Modding zu tolerieren? Eure Meinung interessiert mich brennend!


Freitag, 14. September 2012

My Daddy Rides A Harley

Ich bin unter Bikern groß geworden. Bärtigen, Harley-fahrenden, tattoowierten Typen vom Sons of Devil MC Papenburg, die nach außen hin die Message bringen "Ich bin böse, ich bin stark, guck mich dumm an und ich töte dich".
Das ist natürlich Blödsinn.Natürlich gibt es solche. Die gibt es aber auch unter den "Normalsterblichen".
Die Biker, mit denen ich aufwachsen durfte, sind unter anderem die kinderliebsten Menschen, die mir je begegneten.

Die Sons feierten in diesem Jahr 30-Jähriges
Ich konnte gerade laufen, da haben meine Eltern mich bereits auf den Harleytreffen auf die Piste geschickt - und jeder war mein Freund, hat mit mir gespielt, mich auf Schultern rumgetragen.
Als ich... wann war das.. ungefähr um die 1998* herum, in Biesenthal bei Berlin auf dem Motorcycle Jamboree von Born To Be Wild war, hatte meine Mutter - ich vergebe dir Mum - mich glatte fünf Stunden mitten in der Menge auf einer Biergarten-Garnitur vergessen. "Warte hier, ich komm gleich wieder" hatte sie gesagt... Ich saß dort zwischen fremden Bikern aus ganz Europa und habe mich köstlich amüsiert! Ja, ich war ein braves Mädchen, hatte mich wie befohlen nicht vom Fleck bewegt und genau dort fand sie mich dann auch wieder - kerngesund und glücklich.

An dieser Stelle möchte ich nochmal betonen, dass meine Mutter eine ganz wundervolle Person ist und ich ihr diese Geschichte nur noch im Vollrausch gepaart mit Spaß vorhalte.

Ein Jahr später, als ich im Wald um das Jamboree-Gelände spielte und einen markerschütternden Schrei hörte - vermutlich von der anliegenden Bungejumping-Anlage -  nahmen mich die beiden Borns am Eingang zum Gelände toternst. Ich erzählte ihnen was ich gehört hatte, zehnjährig, heulend und total aufgewühlt... ein Kind eben. Und sie hörten mir zu und soweit ich mich erinnern kann, nahm man sich der Sache auch gleich an.

Jeder von uns weiß, was ein fetter Kater ist, und ich weiß nicht, wie es euch geht, aber das letzte was ich mir dann geben will, ist quietschendes Kinderlachen. Ich persönlich will mir dann garnichts geben, außer Kaffee, O-Saft und noch eine Mütze Schlaf, aber das tut gerade nichts zur Sache...

Daddy & Me; Jüterborg 2011
"Meine" Biker haben sich das immer angetan - zumindest die, die schon wach waren. Wie mein alter Herr mir erzählte, ist mein unbekümmertes Gequietsche und Gelächter während des Kaffeekochens und -servierens the morning after so gut angekommen, dass man sich immernoch von diesem Morgen erzählt und mich jederzeit gern wieder dabei hätte.

Mittlerweile bin ich 25 und sehe auf den selben Party die nächste Generation Kinder herumtollen. Und ich bin ganz aufrichtig froh darüber, dass ich mich nicht um sie kümmern muss, denn das geht weit über den Horizont meiner Geduld hinaus. Aber sie tun es. Nach wie vor. Meine Biker. Ein grandiose Familie auf die ich auch heute noch zählen kann.

Und ganz ehrlich? Nichts erfüllt mich mit mehr Stolz, als bei meinem Alten auf der neuen Limited Sporty mitzufahren, von der ich weiß, dass er sie mir einmal vermachen wird, und die gaffenden Schlipsträger kriegen den Mund nicht wieder zu. Ich hatte eine tolle Kindheit auf zwei Rädern und will nicht einen Kilometer missen müssen.



*Zeitangaben können abweichen


Dienstag, 11. September 2012

The Guy Behind The Mask

Wer oder was steckt eigentlich hinter Anonymous? Wer ist der Mensch hinter der Guy Fawkes-Maske und who the hell ist überhaupt dieser Guy Fawkes? Und jetzt, wo diese ganze ACTA-Geschichte durch ist - muss man das da noch wissen?

Nun, man muss irgenwann sterben, wie ich zu sagen pflege, und sonst nichts. Und das Wissen alleine bringt einen in diesem Fall auch nicht wirklich weiter - zumindest seh ich das so. Denn es bringt ja auch nichts zu wissen, wie man ein Krebsgeschwür abschneidet, und es dann doch weiter wachsen lässt...

Guy Fawkes; * 13. April 1570; † 31. Januar 1606
Guy Fawkes "begegnete" mir zu ersten Mal, als ich 2005 in London war. Wie es der Zufall so wollte, kam ich am 1. November dort an, als bereits die ersten Feuerwerkskörper Londons Himmel erhellten. Ich blieb auch die nächsten Tage und erlebte am 5. November den Höhepunkt der 400-Jahr-Feier der Bonfire-Night*¹ auf dem Alexander-Palace.
Remember, remember, the fifth of November, gunpowder, treason an plot, i know of no reason, the gunpowder treason should be ever forgot*² - Zumindest der Anfang dieses Liedes ist vielen bekannt, nicht zuletzt aus dem Film "V wie Vendetta". Aber was besagt das Lied?
Es erinnert an den Katholiken Guy Fawkes, der am 5. November 1605 versuchte, das englische Parlament mit 36 Fässern Schwarzpulver in die Luft zu jagen. Es erinnert daran, dass Guy Fawkes, der diese Verschwörung anzettelte, um für seinen Glauben einzustehen, verraten und 1606 gehängt wurde. Kurzum: Die Engländer feiern das Scheitern eines Mannes, der für seinen Glauben kämpfte, denn die Katholiken wurden damals verfolgt.

Heute wissen wir, dass es richtig ist für den eigenen Glauben und Überzeugungen einzutreten. Gewisse Freiheiten werden uns mit unserer Geburt verliehen und wir lernen sie für selbstverständlich zu halten. Oftmals vergessen wir, dass das ein Privileg ist. Und manchmal merken wir garnicht, dass uns diese Privilegien genommen werden. Wir sehen dabei zu, ohne es wirklich zu realisieren... und wenn wir es realisieren, verschließen wir die Augen. Denn ein weiteres angeborenes Privileg ist oftmals der Glaube, das alles würde nur anderen passieren - was auch immer es ist.

Demonstranten gegen ACTA
Und hier kommt Anonymous ins Spiel. Nein, ich rede nicht von Hackern, ich rede nicht von Helden oder Kriminellen. Ich rede nicht von Menschen, die sich eine Maske aufsetzen und für ihre Überzeugungen kämpfen.
Ich rede von der Idee. Denn genau sie ist es doch letztendlich, die Anonymous ausmacht. Kein Führer, kein Gesicht, das die Massen leitet, sondern ein Gedanke ist es, der sie alle antreibt. Das Wissen, dass jeder einzelne von ihnen... von euch... von uns... das Zünglein an der Waage sein kann, der entscheidende Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. One head is removable*³ heißt es in den Reihen der Maskenträger - aus genau jenem Grund, denn letztendlich sind Guy Fawkes, V oder Anonymous doch nur der Aufschrei einer Minderheit, die eine Mehrheit werden will. Eine Revolution in den Köpfen der Menschen.. und das Wissen, dass sie ein wesentlicher Teil davon sind - wenn sie sich dafür entscheiden.

An dieser Stelle möchte ich mit einem Zitat enden, dass die Frage, wer oder was Anonymous ist, beantwortet und daran erinnern, dass es weder einer Maske, noch eines Datums bedarf, um Anonymous zu sein.

“Er war Edmond Dantès. 
Er war mein Vater.. 
und meine Mutter.. 
mein Bruder..
mein Freund.. 
Er war Sie..
Er war ich..
Er war wir alle…”
Evey Hammond - V for Vendetta





*¹: Leuchtfeuer-Nacht
*²: Erinnere, erinnere dich an den fünften November. Schwarzpulver, Verrat und Verschwörung. Ich kenne keinen Grund, weshalb die Schwarzpulververschwörung jemals vergessen werden sollte
*³: Ein Kopf ist austauschbar

Montag, 10. September 2012

The Wind That Shakes The Barley

Immer, wenn es so in Richtung Herbst-Winter geht, stellt sich bei mir so eine Art Trance ein. Wenn die Leichtigkeit des Sommers von einem abfällt, wie die Blätter an den Bäumen, werde ich immer ein kleines bisschen melancholisch. Nicht depressiv. Melancholisch.

Ich muss dann häufig daran denken, wie ich als Kind diese Zeit verbracht habe. Und dann schau ich mich um und sehe, wie sehr sich das alles verändert hat.

Kids heute... Göttin, das klingt als wäre ich 42! Aber trotzdem! Kids heute hängen im Herbst vorm Rechner, verblöden beim Glotzen vor der Mattscheibe, nerven ihre Eltern mit Sätzen wie "Mir is' langweilig" und geben Leuten wie mir das Recht zu behaupten, früher sei alles besser gewesen.

Ging auch mal daneben, aber wir leben alle noch.
Was hab ich damals gemacht? Na, meine Kindheit genossen! Ich bin regelmäßig von Bäumen in die Gräben gefallen, weil die Äste bei zunehmender Feuchtigkeit glitschig wurden. Das war kein Weltuntergang. Damals trug ich noch extra Klamotten zum spielen. Die durfte ich vollsaun.
Ohja, und das habe ich. Das Höhlen bauen wird ja auch eine ziemlich dreckige Angelegenheit wenn es regnet. Noch dreckiger wurde es, wenn besagte Höhlen über mir einstürzten.
Meine Fingernägel waren schwarz von der Rinde irgendwelcher Stöcker, die ich mit meinem Schweizer Taschenmesser zerschnizte. Wurzeln und modrige Äste, die ich aus dem benachbarten Sandhügel riss, wurden zu Drachen und anderen Monstern, die mit mir auf Abenteuerjagd gingen..

Er hier erzählt tolle Geschichten :)
Natürlich spielte ich auch mit den anderen Kindern vom Dorf. Wir stürmten heimlich die Weiden der Bauern und ritten ihre Pferde, ohne Sattel oder Trense, einfach im Galopp wohin auch immer die Tiere uns trugen - bis man uns von den Weiden jagte.

Aber um meiner damals grenzenlos scheinenden Phantasie freien Lauf zu lassen, spielte ich am liebsten allein.

Können Kinder das heute noch? Trinken sie Tee am Baumstumpf mit Schnecken und Waldwesen aus Blättern und Moos? Finden sie Schätze unter Haufen von Ästen, in denen die Igel sich verkriechen? Schleichen sie auf allen Vieren durch den 30 Zentimeter tiefen Schnee, weil sie sich als Säbelzahntiger an die Urzeitpferde heran pirschen? Hach, ja das war herrlich damals... in meinem Kopf lief dabei immer ein Dokumentarfilm ab... Ich liebte Dokumentarfilme! Und während der Schnee mittlerweile meine Winterkleidung durchnässt hatte, kommentierte eine tiefe männliche Stimme in meinem Kopf: "Auf seiner Jagd nach Urzeitpferden ist der Säbelzahntiger äußerst geduldig, denn er hat nur Energie für einen Angriff. Wenn er diesen vermasselt, wird er während des kalten, harten Winters verhungern."

Ab auf die Pirsch!

Oh, es war eine tolle Zeit. Mehr denn je, wenn ich mich jetzt umsehe und feststelle, wie wenig Kind die Kinder heute noch sind. Sie haben die Fähigkeit verloren sich an der Natur zu erfreuen. Sie sehen keine Gesichter in Astlöchern, retten keine verletzten Vögel... Sie stehen nicht im Weizenfeld und spüren das Kitzeln der Gräser, wenn der Wind hindurchfährt. Sie haben keine Phantasie.

Das macht mich sehr traurig.

Und das ist einer der Gründe, weshalb ich meiner Familie heute dafür danke, ganz hinterwäldlerisch auf dem Dorf groß geworden zu sein. Zwischen Kuhkacke und Weidezäunen, in Baumkronen oder Melkställen, auf Pferden und Dächern, lachend, singend, weinend und vor allen Dingen kindlich.