Montag, 31. Dezember 2012

Shake It Out



Überall schmeißen sie alle jetzt schon mit Neujahresgrüßen um sich. Mir ist das ziemlich egal. Das Jahr war für imch schon am 31. Oktober vorbei - so wie jedes Jahr. Aber ich drücke mich vorm Aufräumen. In meiner Bude sieht es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen und ich versuche meinen Schweinehund schon seit Tagen zum sauber machen zu überreden. Bisher ohne Erfolg. Und anstatt jetzt wie eine Wilde loszulegen, erschaffe ich meinen ganz persönlichen Jahresrückblick.



Noch nie habe ich so zwiegespalten auf zwölf Monate zurückgeblickt.

Ich bin mit meinem Freund in eine neue Wohnung gezogen (schon wieder) und habe meine Ausbildung abgeschlossen. Ich habe noch nie in meinem Leben gleichzeitig so viel Geld verdient und dennoch so viele Schulden gemacht. Die heftigsten Tiefschläge meines Lebens sind mir in 2012 passiert und wäre die Welt untergegangen... so schlimm hätte ich persönlich das nicht gefunden.

by Jason J Finnane


Ich bin mit dem Bloggen angefangen - definitiv eine der besten Entscheidungen in diesem Jahr, was aber schon zeigt, dass mein Zenit nicht besonders hoch stand in 2012. Dafür ging es ganz tief in ziemlich dunkle Täler, sowohl körperlich als auch mental.

Ich habe die wichtigsten Menschen in meine Leben verloren und wiedergefunden, habe meinen Körper und Geist an seine absoluten Schmerzgrenzen getrieben und hatte den unglaublich besten Sex, den man sich vorstellen kann.

Ich habe neue Vorbilder für mich entdeckt, nur um zu erkennen, dass wir alle nur Menschen und Idole Trugbilder sein können. Ich habe mich daran erinnert, dass wir uns letztendlich nur auf uns selbst verlassen können und gleichzeitig wurde mir bewusst, wie sehr wir einander brauchen. Alle.

Das Jahr hatte tatsächlich viel mehr dunkle und aussichtslose Momente, als glückliche und zufriedene. Dennoch will ich es wie jedes andere nicht missen müssen. Denn glaubt mir, es ist immer so, wie Mama Sue es sagt...

Alles wird gut


In diesem Sinne: Rutscht gut rein!

Freitag, 14. Dezember 2012

Short Stories & Anthologies - Part II

Memories Of Mina

"Die Haustür fiel nur ganz leise ins Schloss", erinnerte sich Sophie, eine Mittdreißgerin mit tiefen Ringen unter den grünen Augen. "Aber ich habe es gehört. Ich habe es immer gehört, wenn er nach Hause kam, weil ich wusste, dass schon der Haustürschlüssel Mina* einen Schauer verpasste, wenn er ihn im Türschloss drehte. Dafür brauchte ich mich nicht im Bett umdrehen und zu ihr herüber sehen."

Sophie atmet hörbar ein und sinkt tiefer in den Ledersessel. Einen Augenblick gleitet ihr leerer Blick durch den Raum. Dann blinzelt siedrei Mal schnell hintereinander und macht kreisende Bewegungen mit ihren Schulter, als würde sie damit eine unangenehme Verspannung vertreiben.
"Mommy hatte ihn kennen gelernt, als die noch in Trauer um Dad war. Es ist so ihre Art. Passiert etwas, das sie eigentlich nicht verkraftet, flüchtet sie. Genauso wie sie aus Estland geflohen ist, als Oma von Rowdys überfallen und zusammengeschlagen wurde und dann später im Krankenhaus gestorben ist."
Bei der Erinnerung an ihre Großmutter verzieht sich Sophies Gesicht zu einer Grimasse aus Trauer und Liebe. "Ich glaube nicht, dass sie ihn wirklich geliebt hat. Aber als er erst einmal eingezogen war, übernahm er die Herrschaft über alles. Über Mommy, über mich und vor allem über Mina." Sie schüttelt kaum merklich den Kopf und starrt wie hypnotisiert auf das metallene Pendel auf dem Schreibtisch, das gleichmäßige Kreise in den feinen Sand darunter zeichnet.

"Wenn er von seiner Kneipentour kam, meistens spät in der Nacht, spielte es keine Rolle, ob wir schon schliefen oder nicht. Wir bekamen es immer mit, wenn er nach Hause kam. Mina verkrampfte dann immer innerlich. Ich konnte das spüren. Auch wenn sie nie ein Wort darüber verlor. Und wenn er dann leise unsere Zimmertür öffnete und sich an ihre Bettkante setzte um sie zu streicheln, sie fast liebevoll zu fragen, wie ihr Tag war, antwortete sie nicht." Sophie runzelt die Stirn.
"Es war kein Geheimnis. Er gab sich nicht einmal Mühe es zu vertuschen. Und er drohte auch nie. Wir wussten, dass er uns totgeprügelt hätte, hätten wir es gewagt etwas zu sagen. Das kannten wir schon von Mommy. Wagte sie es sich gegen ihn aufzulehnen, schlug er sie, bis sie um Verzeihung bettelte." Ein eiskalter Shauer läuft ihr über den Rücken.
"Er knipste das Licht an, wenn er so da saß; auf ihrer Bettkante. Und während er ihr über das Haar strich, ihre Wange streichelte und seine Hände schließlich fordernd nach ihren Brüsten grapschten, die erst im vergangenen Sommer angefangen hatten zu wachsen, verströhmte er seinen Alkoholdunst im gesamten Zimmer. Ich rieche seinen Gestank noch heute." Sophie schüttelt sich heftig, als müsse sie Tausende kleine Insekten los werden.
"Sie hat sich nie gewehrt. Obwohl sie am liebsten geschrien und um sich geschlagen hätte, gab sie nie einen Laut von sich... Und mit jedem Mal, das er zu uns ins Zimmer kam, fühlte ich mich schlechter, weil ich nichts tat um sie zu beschützen."

Eine einzelne Träne läuft ihr über die Wange. "Ich hätte es ihr abgenommen. Und ich verstehe bis heute nicht, warum er mich nie anrührte, sondern immer nur sie. Ich meine, schließlich sind wir Zwillinge. Er hätte den Unterschied wahrscheinlich gar nicht gemerkt. Aber davon wollte sie nie etwas wissen. Sie sagte immer, sie müsse das tun, damit ich weiter machen konnte. Welche 13-Jährige tut so etwas?" Nun beginnt sie zu schluchzen und die Tränen laufen ihr in Strömen über das Gesicht.

"Ich weiß nicht, wie sie das ertragen hat. Ich sah ein, vielleicht zwei Mal, wie er seinen schlaffen Schwanz an ihrem Gesicht gerieben hat, bis er hart wurde, und mir wurde so schlecht von dem Anblick, dass ich mich abwandte. Und dann habe ich aufgehört hinzusehen.
Ich versuchte sein Röcheln zu ignorieren, wenn er sich auf sie legte und ihre arme, kleine Kindermuschi fickte." Sie kneiftdie Augen zusammen, so dass ihre billige Mascara sich auf ihren Lidern verteilt und dreht den Kopf zur Seite, als wolle sie dem Bild vor ihrem Inneren Auge entfliehen.
"Selbst wenn ich das geschafft hätte, hätte ich niemals Minas unterdrücktes Schluchzen ignorieren können. Ich höre es heute noch. Und es tut mir weh, als wäre ich es selbst gewesen, die das alles ertragen musste."

Ihre Tränen versiegen. Sophie hat nichts mehr dazu zu sagen. Sein Tod war notwendig gewesen und sie hätte es immer wieder so gemacht, wie sie es damals getan hatte. Minas Märtyrium war nun 16 Jahre her. Sie war 18 gewesen, als er eines Nachts nah Hause kam und so betrunken war, dass ihm sein Standartfick im Mädchenzimmer nicht gereicht hatte. Er hatte Mina nicht nur vergewaltigt, sondern auch windelweich geschlagen. Dabei verletzte er sie so heftig, dass sie bereits tot war, während er seinen Schwanz noch in sie hineinstieß. Da hatte es ihr gereicht und Sophie hatte den versilberten Brieföffner vom Schreibtisch neben Minas Bett genommen und auf ihn eingestochen, bis er reglos blutend auf ihr lag. 36 Stiche waren es gewesen. Tot war er schon nach dem zwölften oder vierzehnten Stoß mit dem Brieföffner. Sophie hätte noch hundert Mal zu stechen können, wäre es nach ihr gegangen, doch ihre Mutter war endlich in das Zimmer geschlichen und hatte sie gehalten, bis Sophie sich beruhigt hatte und die Mordwaffe aus ihrer schlaffen Hand rutschte.
16 Jahre war das her. Und doch ist es, als wäre all das erst gestern passiert.


Dr. Norman Joel Attkinson setzt beide Füße auf dem Teppichboden vor sich ab und lehnt sich tief in seinen Sessel, legt sein Klemmbrett mit den Notizen neben sich auf den kleinen Tisch und betrachtet die Frau vor sich, die nun leer ins Nichts starrt.
"Sophie?"
Er spricht sie noch einmal an und sie schreckt leicht hoch, als sie ihn endlich wieder wahrnimmt und fragend aus müden Augen ansieht.
"Wer sind Sie?" fragt er ruhig und streicht sich dabei mit der Rechten über das leicht stoppelige Kinn.
Sophie hebt fragend die Augenbrauen.
"Ich bin Sophie Elaina Kisipuu."
"Und wer ist Mina?"
"Meine Schwester. Meine Zwillingsschwester."
 Attkinson atmet drei Mal durch und reibt sich die gerunzelte Stirn.
"Sie müssen damit aufhören, Miss Kirsipuu."
"Womit?"
Ein seltsames Dejavu-Gefühl stellt sich ein.
"Sie müssen damit aufhören, ihr Alterego zu personifizieren, Miss Kirsipuu. Sie haben keine Schwester. Ihr Unterbewusstsein hat sie erschaffen, um ertragen zu können, was Ihr Stiefvater Ihnen angetan hat. Sie müssen begreifen, dass Sie eine dissoziative Störung haben, damit sie genesen können."
Sophie beobachtet ihren Therapeuten, während er die Worte langsam und ruhig spricht, sagt jedoch nichts.
"Das alles waren sie selbst. Stellen Sie sich der Wahrheit, Miss Kirsipuu. Sonst können wir sie niemals entlassen. Und das möchten Sie doch? Entlassen werden?"

Sophie sieht verträumt aus dem Fenster. Nein, denkt sie, das will ich nicht.



*Mina: estnisch "Ich"

Dienstag, 11. Dezember 2012

Das Feindbild Vom Ex

Es ist schon witzig, wie schwer es manchen Menschen fällt, mit Harmonie umzugehen...
Wie schon erwähnt und die meisten ja sowieso irgendwie mitbekommen, bin ich wieder Single. Und es geht mir außergewöhnlich gut damit.

Ein Doppelbett ist verdammt groß, wenn man allein drin schläft.
Klar, die ersten Nächte waren grauenhaft. Alleine schlafen, alleine aufwachen, nach Hause kommen und keiner ist da... aber das hat sich ziemlich schnell gelegt. Unter anderem deshalb, weil mein Ex, der nach wie vor mein Mushu ist und bleiben wird, so über alle Maße für mich da war und ist.

Tatsächlich verstehen wir uns gut wie lange nicht! Und das ist nicht einmal ein Wunder, sind wir uns doch absolut einig darüber, dass das was wir tun, das Richtige ist.
Und so sieht auch unser Alltag aus. Wir fahren noch immer zusammen zur Arbeit. Wir verbringen nach Feierabend Zeit miteinander. Wir gehen zusammen ins Kino oder in den Zoo. Wir feiern zusammen Partys. Und wir lachen miteinander, sind füreinander da, schmieden gemeinsam Pläne für jeden einzelnen von uns. Wir suchen sogar zusammen nach Wohnungen, weil er ausgezogen ist und die Bude für mich allein zu groß und zu teuer ist. Wir planen unsere Single-Zukunft und wir freuen uns beide darauf.

Und unsere Freunde und Bekannte kommen überhaupt nicht damit klar.

Wir wären krank, heißt es. Oder dass wir ja doch noch irgendwie zusammen seien oder es bald wieder wären.

Fighting couples...
Da sieht man mal, wie verkorkst doch die Menschen sind, nicht wahr? Für die meistens ist es schier unbegreiflich, dass wir uns einigen konnten, dass wir uns weder hassen, noch andere in die wirklich unangenehme Situation bringen, Streiterein mit zu bekommen. Und ich denke, dass liegt an diesem festgefahrenen Feindbild vom Ex. Ein Ende muss doch nicht immer ein großer Knall sein. Ein Ende muss auch nicht immer dein Herz in tausend Teile zerreißen. Nein, ein Ende ist letztendlich doch auch nur ein Neuanfang.

Gut, ich muss gestehen, dass diese Situation für mich auch total neu ist. Meine bisherigen Beziehungen waren eigentlich keine. Bevor ich Mushu kennen lernte, waren Beziehungen, wenn es denn soweit kam, eher Mittel zum Zweck. Beziehungen bedeuteten Gratis-Sex ohne großes Anmachen-Abschleppen-Abhauen-Szenario, was auf die Dauer ein wenig ermüdend werden kann.
Und auch wenn ich die gescheiterten Beziehungen um mich herum betrachte, ist es doch meistens so, dass einer von beiden Ex-Partnern eine ekelhafte und erniedrigende Schlammschlacht anzettelt, unter der alle leiden. Verletzter Männerstolz ist so ziemlich das Unberechenbarste, was mir auf die Schnelle einfällt; und auch Weiber mit Liebeskummer können echt durchdrehen und mit ihren Aktionen nur noch alles schlimmer machen.

Mein Ex geht mit mir Pampahasen streichlen :)
Wenn ich an die Trennung meiner Eltern zurückdenke, in der anfänglich alles irgendwie vernünftig ablief und dann doch brutal den Bach runter ging, muss ich mir und Mushu heimlich lächelnd auf die Schulter klopfen. Es ist tatsächlich manchmal schon etwas beängstigend, wie vernünftig wir sind. Wie beste Freunde. Nur intensiver.

Nun, es gibt den hässlichen Poesie-Album-Spruch: "Wenn dir ein Mensch einmal wirklich wichtig war, wird er es auch immer sein". Tatsächlich finde ich, dass da eine ganze Menge Wahres dran ist.
Als wir entschlossen uns zu trennen, machten wir noch im selben Atemzug aus, dass wir einander nicht aus unseren Leben streichen wollen, und im Gegensatz zu vielen anderen, schaffen wir es durch Kommunikation und Vernunft das  genau so durchzuziehen. Ich finde, darauf können wir stolz sein. Auch wenn alle anderen damit nicht klar kommen.

Nun, ich werde an dieser Stelle schließen, denn weil 95 Prozent meiner Freunde und Familie um die 300 Kilometer weit weg leben, kommt mein Ex gleich rum und feiert mit mir in meinen Geburtstag hinein. Ich hatte das fast vergessen. Er nicht. "Kann ich dann bei dir schlafen", hat er mich vor ein paar Stunden am Telefon gefragt. Und als ich wissen wollte wieso, meinte er - als wäre es ganz selbstverständlich - "Ich kann bestimmt nicht mehr fahren, wenn wir in deinen B-Day reinfeiern. Und alleine sein willst du bestimmt auch nicht."

Stimmt genau. Gut, dass er mich so gut kennt.

Mittwoch, 5. Dezember 2012

Short Stories & Anthologies - Part I

Meet Misery

 Der Tag war hart. Ich bin total im Eimer und nehme meine Wohnung kaum wahr, als ich sie betrete, die Tür nur leicht beim schließen anschubse. Gedankenlos lasse ich den Schlüssel auf den Wohnzimmertisch fallen und greife im Vorbeigehen nach der geöffneten Weinflasche. Ich schenke mir etwas in das Glas vom letzten Abend und nehme einen tiefen Schluck. Noch mit dem Glas in der Hand, lasse ich mich auf die dunkelblaue Couch fallen, greife die Fernbedienung vom Tisch und verharre mit dem Daumen auf dem runden, grünen Knopf. Mein Blick haftet auf der schwarzen Mattscheibe der alten Röhre. Ich lehne mich zurück, die Fernbedienung noch immer in der Hand, der Finger auf dem Knopf, und schließe die Augen.

Als ich zu mir komme, habe ich den Geschmack von Eisen und Gummibärchen im Mund, noch bevor ich den süßlich, herben Geruch einatme und kaum Licht durch meine geschlossenen Lider scheint.
Ich öffne die Augen und blinzle verdutzt, als ich die fremde Umgebung um mich herum erblicke. Hatte ich die Haustür hinter mir richtig geschlossen?
Der Raum ist zwar nicht klein, doch durch die schwammige Atmosphäre, popelgrüne Tapeten, die nur von einer einzigen Stehlampe erhellt werden, dessen ehemals weißer Schirm mitlerweile schmierig beige ist, wirkt beengend. Ich erkenne in dem Halbdunkel eine klobige Kommode und ein ungefähr anderthalb Meter breites Bett mit Metallstreben. Die Matratze darauf verschwindet unter Wolldecken, einem kleinen Haufen Kleidungsstücken und lose herumliegender Bettwäsche.

In diesem Moment steigt Panik in mir auf und die skurrilsten Geschichten entwickeln sich in meinem Kopf. Wurde ich entführt? Verliere ich den Verstand? War das Leben, das ich bisher kannte, nur ein sich endlos ziehender Traum?
Ich kann mich nicht willendlich bewegen, tue es aber, denn ich nehme die seichte Bewegung wahr. Das ist der Augenblick, in dem ich mir sicher bin, den Verstand zu verlieren und einfach durchzudrehen. Ich will sprechen, schreien, heulen, doch kein Laut verlässt meine bewegungslosen Lippen. Mit all der mentalen Kraft, die ich aufbringen kann, versuche ich meinen Körper zu spüren, doch da ist nichts. Als wäre ich ein körperloser Geist, gefangen in einer Astralebene, stets den Blick in die wirkliche Welt gewandt. Aber ist sie das? Ist dieser trostlose, miefende Raum die wirkliche Welt?

In diesem Moment bewegt sich etwas auf dem Bett. Der ruhelose Geist in mir scheint sich aufzulösen und ich verliere komplett das Gefühl der Körperlichkeit. Wenige Augenblicke später fühlt es sich an, als wäre ich der Raum und würde von allen Seiten auf das herabblicken, was sich in mir abspielt.

Es ist ein Mädchen. Mager und hässlich. Ihre Haare sind spröde und fettig zugleich. Die Ringe unter ihren Augen könnte ich zählen, wäre ich nicht abgelenkt von ihrer wirklich lächerlichen Aufmachung. Sie wühlt sich aus dem Plunder, der auf dem Bett liegt, hebt die nackten, dünnen Beine auf den schmierigen Fußboden und gibt ein keuchendes Husten von sich. Sie trägt ein Kostüm. Ein Kostüm, wie karrieregeile Anwältinnen es in Bostoner Serien tragen. Doch ihr Kostüm ist schmutzig grau, hat überall Flecken, deren Herkunft ich gar nicht wissen will, und hängt knittrig an ihrem Körper, als würde sich beides gegenseitig abstoßen.

Wie in Trance beobachte ich, wie das Mädchen, ebenfalls wie in Trance, den Blick auf die Kommode wirft, auf der die Lampe steht. Im Lichtschein liegen allerhand Utensilien, die sowohl in ihr, als auch in mir eine Erregung hervorrufen. Sie erhebt sich wankend, beugt sich über die Kommode und gibt in kurzen Abständen seltsam saugende und röchelnde Geräusche von sich. Obwohl ich der Raum zu sein scheine, sehe ich mir das nicht an. Ich weiß, dass sie sich irgendetwas reinpfeifft und das ekelt mich an. Sie ekelt mich an.
Als ich die Augen vor diesem Schauspiel verschließe, beginnt mich eine imaginäre Hand zu ohrfeigen. Erst schlägt sie mich ins Gesicht, dann in den Nacken, auf den Hals und die Brust. Und obwohl ich in meinem scheinbar total durchgenallten Verfassungszustand in dem ich meine geistige Gesundheit an den Nagel gehängt habe, keinen Körper als solchen besitze, spüre ich die Schläge, ohne sie als schmerzlich wahrzunehmen.Als aus der imaginären Hand mehrere Hände werden, die mich überall schlagen, richtet sich das Mädchen schwankend auf und macht nahezu fallend einen Ausfallschritt. Mit einer halben Drehung um sich selbst steht sie vor einer weiteren Kommode, die im Halbdunkeln steht und streift sich das zu groß scheinende Jackett ihres Kostüms ab..

Sie stützt ihre Hände an den Seiten der Kommode ab, biegt dabei ihre dünnen, zerstochenen Ärmchen unnatürlich durch und ich frage mich, wie viel, beziehungsweise wie wenig Kraft man aufbringen müsste, um sie zu brechen. Ihr eingefallenes Gesicht ist gegen die Wand gerichtet. Ihre Augen sind geschlossen, doch ich kann sie unter den Liedern zittern sehen. Langsam richtet sie sich auf, drückt den Rücken zu einem Hohlkreuz durch und öffnet langsam die schwarzen, toten Augen und es ist, als würde sie mir direkt ins Gesicht sehen. Als ich diesen Gedanken zu Ende denke, kräuseln sich ihre trockenen, aufgeplatzten Lippen zu einem leichten, hämischen Grinsen.

Als würde sie mit den Schultern zucken wollen,  reckt die ausgestreckten Arme von sich und hebt sie leicht. Würde sie jetzt noch den Kopf in den Nacken legen, würde sie aussehen, wie eine im Geiste betende Irre. Doch sie wendet den Blick nicht von der Wand, in der ich körperlos Gefangen bin. Ich frage mich, was das ganze soll, und als hätte sie meine Gedanken gelesen, hebt sie die Arme noch etwas fordernder und mit den Unterseiten mir entgegen, meinem Blick.
Und dann begreife ich es: Sie will mir etwas zeigen. Als wüsste sie, dass ich da bin! Ein Funken Hoffnung keimt in mir auf, denn wenn sie weiß, dass ich da bin, bin ich vielleicht doch nicht ganz so verrückt, wie ich denke.

Kaum merklich nickt dieses hässliche und zerbrechliche Geschöpf mir, der Wand, entgegen und ich folge ihrem Wunsch und betrachte ihre Arme. Dunkle Flecken in den verschiedensten Farben, braun, grün und lila, sind in ihren Ellenbeugen zu sehen, doch ich weiß instinktiv, dass es das nicht ist, was sie mir zeigen will. Ich sehe genauer hin, betrachte ihre Haut und mein Blick wird intensiver.

Meine Körperlosigkeit wird mir einmal mehr bewusst, denn ich verliere mich in dem was ich sehe und es ist mir gänzlich unmöglich zu sagen, ob ich in der Wand, im Raum oder in der Atmosphäre schwebe.
Die Haut ihrer Arme gleicht nun altem Milchpapier und beginnt sich immer mehr aufzulösen. Vor meinem Blick legt sich das rosige Fleisch brach, die kümmerlichen Muskeln ziehen sich zurück und ein Netz aus Nerven und Adern zeigt sich mir. Als würde ich näher herantreten, wird dieser Ausblick intensiver, näher und ich sehe die gleichmäßigen Bewegungen ihrer Nerven und Venen. Ich kann das Rauschen ihres Blutes hören.
Und dann sehe ich es. Ihr Blut. Und es ist nicht rot uns fließend, wie ich es zuerst annehme. Nein, es ist zähflüssig und blassrosa. Und es ist nicht das einzige, was durch diese offenen Venen fließt. Ihr Blut besteht viel mehr aus einer weißgelben Paste, die sich zäh durch die engen Adern kämpft. Und augenblicklich schmecke ich all das, was durch ihren Körper fließt. Den Alkohol, das Kokain, das Heroin. Es schmeckt fürchterlich bitter und betäubt meinen nicht vorhandenen Körper.

Als sie meine Erkenntnis spürt, fasst sie sich an den Hals, als würde ihr die Luft abgeschnürt.Panik spiegelt sich in den weit aufgerissenen Augen wider und der Wunsch zu fliehen, schleicht wie ein Kribbeln ihren Rücken hinauf, bis sich ihre Nackenhärchen aufstellen und ihr ganzer Körper von einer Gänsehaut erfasst wird.
Doch als ich meine Aufmerksamkeit wieder ihrem Gesicht zuwende, bemerke ich, dass all das nicht stimmt. Denn ihre Züge sind ausdruckslos, höchstens spottend. Und ich spüre, dass es meine Empfindungen sind, die ich auf sie reflektieren wollte. Ich habe Panik. Ich will fliehen. Ich ersticke!
Ich will meinen Blick vor ihr verschließen, will dieser seltsamen Situation entfliehen und meinen Verstand zwingen wieder vernünftig zu arbeiten. Ich schüttele mein körperloses Selbst und will um mich schlagen.

Als ich zu mir komme, habe ich den Geschmack von Eisen und Gummibärchen im Mund, noch bevor ich den süßlich, herben Geruch einatme und kaum Licht durch meine geschlossenen Lider scheint.
Ich öffne die Augen und sehe in den Spiegel, der über der Kommode steht, an der ich meine dünnen Arme abstütze. Mein Spiegelbild sieht mir mit ausdruckslosen Augen entgegen und nickt langsam. Eine Bewegung die ich nicht spüre, denn mein Körper ist berauscht und betäubt. Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag, der mich zurück in den Raum wirft.


Ich öffne die Augen und drücke den grünen Knopf der Fernbedienung und der Fernseher springt an. Während einer Verfolgungsjagd durch New Yorker Straßen läuft, stehe ich langsam auf und schließe meine Haustür richtig. Ich gehe ins Badezimmer und schaue in den Spiegel. Das Spiegelbild das sich mir zeigt, bin nicht ich. Denn ich bin in einem popelgrün tapezierten Raum, der kaum beleuchtet ist und warte darauf, dass ich mich selbst wiederfinde...