Montag, 1. Oktober 2012

Nur ein Symptom

Habt ihr von dieser Messerstecherei in dem Jobcenter gehört?

Ich nicht. Ich hatte jetzt zwei Wochen Urlaub - deshalb auch kaum ein Lebenzeichen von mir. Dabei versuche ich stets nicht ganz so viel an Nachrichten mitzubekommen. Das regt mich nur auf, und der Sinn von Urlaub ist ja eher sich zu entspannen.

Jobcenterangriff am 26.9. in Neuss. Foto: dpa
Aber letzte Nacht hab ich Pseudo-News auf RTLII gesehen. Das darf man fast nicht sagen, ohne sich zu blamieren, aber danach lief... ja, was lief nochmal? Ich wollte den Film im Anschluss sehen und folgte also dem Geschnatter des "Nachrichten"-Sprechers: In Nuess ist ein Typ mit zwei Messern ins Jobcenter gekommen, wollte eigentlich jemand anderes sprechen und stach stattdessen eine Beamtin ab. Dabei ging es angeblich um Datenmissbrauch. Ist aber auch vollkommen egal.
Im Mai 2011 ging eine Frau mit einem Messer auf einen Beamten des Jobcenters Frankfurt/Main los und wurde schließlich von der Polizei erschossen. Warum die Frau das tat? Keine Ahnung, zumindest geben meine Quellen diese Info nicht her.
Im Juli 2011 das Selbe in Köln: Ein Mann packte eine Jobcenter-Beamtin am Schopf, schlug sie mit Selbigem auf den Tisch und warf einen Monitor nach ihr.
Auch in Wuppertal rastete ein Mann aus.
Keine Seltenheit also. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter staatlicher Einrichtungen wie besagter Jobcenter werden natürlich dementsprechend geschult. Und es gibt Sicherheitsknöpfe auf Tastaturen oder unter Schreibtischen. Und ist so ein Knöpfchen erstmal gedrückt,...

Gewalt ist nie gut, egal ob sie gerechtfertigt ist oder nicht. Aber wir sind alle nur Menschen. Und bevor Menschen ein iPhone5 oder einen HDMI-LCD-Megaplasma-3D-Fernseher haben wollen, möchten sie gesund sein, essen, schlafen und arbeiten.

Natürlich ist es nicht gut in so einem beamtenüberschwemmten Sammelbecken für Inkompetenz - auch Jobcenter genannt - auszuflippen, handgreiflich zu werden oder gar lebensbedrohliche Maßnahmen zu ergreifen. Nein, nicht gut. Aber dennoch nicht ganz unverständlich, wenn ihr mich fragt.

Von der Stütze zu leben ist scheiße. Das darf man ganz klar mal so auf den Punkt bringen. Ich war selbst schon in der Situation und musste für die Leistungen, die der Staat mit erbrachte, jeden meiner Atemzüge schwarz auf weiß belegen können. Das ist ok. Es nervt, aber es ist ok, wenn man bedenkt, wie viele Leute die Unflexibilität der Behörden ausnutzen, um zu kassieren und dabei die Füße hochzulegen.

Was also, habe ich zu jammern? Ich? Nichts.

Aber jene Menschen, die unter der Willkür und den Komplexen machtgeiler "Autoritäten" leiden müssen, die haben einiges zu jammern - und zwar mit gutem Recht.

Nur mal so als Beispiel: Harald hat hat seinen Job an der Tankstelle gekündigt. Er hat dort ein Jahr gearbeitet. Vor der Tanke, war er in der Spielhalle. Davor bei der Zeitarbeitsfirma. Nichts davon hat er länger als ein Jahr gemacht, aber er hat immerhin gearbeitet, sich selbstständig einen neuen Job gesucht und weiter gemacht. Jetzt findet Harald so schnell keinen neuen Job und beantragt deshalb Arbeitslosengeld I.
Weil Harald zwar jahrelang durchweg gearbeitet hat, aber stets unter verschiedenen Arbeitgebern, muss er jede Menge Belege zusammenkramen. Das dauert, aber er bleibt standhaft und beißt sich in seinem Recht fest. Das interessiert Fräulein Howe im Büro 204 aber nicht. Frau Howe lackiert sich lieber die Fingernägel, schickt Herrn Harald von A bis Z und wieder zurück, um Belege vorzulegen, die sie selbst dann wieder verliert. Es vergeht ein ganzer Monat und es gibt noch immer kein Geld.
Harald bekommt Stresspusteln, denn seine Frau wird zur Furie und der Vermieter will die Wohnungsmiete. Also rennt Harald weiter durch die Gegend, sammelt sämtliche Belege ein zweites Mal ein und gibt sie persönlich ab, damit auch nichts verloren wird. Frau Howe muss das erstmal prüfen. Das dauert eine Woche. Dass Harald Hunger hat und nicht weiß, wovon er den Bus bezahlen soll, ist ihr egal. Nach einer Woche fällt Frau Howe auf, dass doch noch ein Papier fehlt. Sie vergisst es Harald telefonisch mitzuteilen, weil die Kollegin aus der Buchhaltung den Kaffee nicht findet.
Foto: fotolia
Haralds Frau, die selbst kaum etwas verdient, bezahlt mit Mühe und Not die Miete und sagt ihrem Mann, er müsse etwas Handfestes tun jetzt: Antrag auf Soforthilfe...Leben am Existenzminimum... irgendwie muss sich doch der Kühlschrank füllen lassen..
Frau Howe beim Amt schickt Harald zu einer anderen Stelle und verspricht, dort wird erstmal etwas von dem beantragten Geld vorgeschossen. Doch die Kasse zeigt Harald den Vogel und schickt ihn wieder weg. Der zweite Monat ist um, Magen und Reserven sind leer, Mahnungen flattern ins Haus, Schulden beginnen zu wachsen. Harald ist verzweifelt. Er versteht nicht, weshalb er sein Geld nicht bekommt. Wieder versucht er es bei Frau Howe, die ihn wieder wegschickt. Aber Harald hat Hunger. Und seine Frau daheim hat gesagt, wenn er ohne etwas Handfestes nach Hause kommt, rastet sie aus. Also rastet Harald aus. Er schreit Frau Howe an, er würde seine Rechte kennen. Frau Howe interessiert sich aber nicht für Haralds Rechte, sondern für ihren neuen Nagellack. Wütend springt Harald von seinem Stuhl auf, der daraufhin umfällt und packt Frau Howe am Arm, schüttelt sie etwas und schreit sie weiter an. Dann wird er überwältigt und in Handschellen abgeführt. Zwei Sicherheitsmänner haben ihn überwältigt und die arme Frau Howe getröstet. Harald darf den Nachmittag in einer zelle verbringen und wird angezeigt. Wegen Bedrohung und versuchter Körperverletzung. Außerdem hat er jetzt Hausverbot beim Amt. Von seinem Geld sieht er nicht einen Cent.

Klingt unglaublich, hat sich aber so zugetragen. Und das ist längst nicht die einzige Geschichte, die man mir erzählte. Ich kenne noch mehr davon, die an dieser Stelle leider den Rahmen sprengen würden. Ich möchte damit auch nur eines zeigen:

Gewalt ist scheiße. Ganz klar. Aber hungernde und verzweifelte Menschen sind zu allem bereit. Und wenn sie ihre verdiente Hilfe nicht bekommen, während unser Staat Milliarden in die finanzielle Unterstützung von Ländern steckt, die nicht für unsere Wirtschaft gearbeitet haben, ist es auch kein Wunder wenn sie ausflippen, handgreiflich oder gefährlich werden. Viele dieser Menschen haben Familien, die sie beschützen wollen. Viele dieser Menschen leben am absoluten Existenzminimum. Das rechtfertigt keinen Mord. Aber es hilft zu verstehen...

Natürlich kann man den Menschen verurteilen, der eine solche Tat begeht. Und Mörder müssen bestraft werden.
Doch damit behandeln wir lediglich das Symptom einer Krankheit, die System heißt, und von der wir schon lange wissen, dass sie sich durch unser Land frisst...


8 Kommentare:

  1. Wie so oft in unserem Land. Wir bekämpfen Symptome aber keine Ursachen.

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    1. Wann merken "die da oben", dass das nicht funktioniert?

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    2. Die da oben wissen es schon lange. Sie halten ja das System absichtlich so fest, damit es nicht ausartet. Deswegen müssen wir schauen, dass wir 2013 kleinere Parteien wählen und uns gut informieren. Denn, dass der Staat die systemrelevanten Banken mit Milliarden vollpupmt aber den einfachen Bürger links liegen lässt, kann nicht so weiter gehen.

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    3. Hört ihm zu, denn er spricht die Wahrheit!

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  2. Schwieriges Thema, harter Tobak! ;) Ich glaube über das Thema könnte man stundenlange Diskussionen spinnen. Allerdings müsste man wohl erstmal selber in solch einer Situation sein um die Gedanken solcher Leute nachvollziehen zu können. Ich kann es überhaupt nicht! Daumen hoch aber für deinen Erzähl bzw. Schreibstil. Ich lese es immer wieder gerne!

    MfG Hoogie

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    1. Vielen Dank für die Blumen, Hoggie <3
      Ja, recht haste, ist auch diesmal kein leichtes Thema. Aber du weißt ja, dass das für mich kein Grund ist, die Klappe zu halten ;)
      Ich war schon in der Situation und weiß, was "echter" Hunger ist. Und so geht's wohl auch Millionen anderen.

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  3. Sehr gerne!:) Deine Blogs haben auch für mich Vorteile! Nämlich Unterhaltung! Von daher schreib du mal fleißig weiter und ich lese dann fleißig weiter mit.

    Zum Thema: Eben das ist es was dir eine ganz andere Sichtweise auf die Dinge verleiht. Aber manchen Ärger kann ich auch so gut nachvollziehen. Das "System" bzw. die Krankheit kennt wohl jeder irgendwie auf eine andere Art und Weise! ;) Optimal funktionieren tun diese Systeme definitiv nicht.

    Sag ma: Bin ich auf Facebook angewiesen oder kann ich deinen Blogs auch irgendwie anders folgen?

    MfG

    Hoogie, achja Doppel O :D

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    1. Freut mich, dass es unterhält ;)

      Du kannst meinem Blog via Newsfeed (oben rechts) oder per google friend connect (oben links) folgen ;)

      ja, in solchen Situationen waren wir wohl alle schon.

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