Montag, 11. Dezember 2023

Warum eigentlich arbeiten?

Ich wollte ohne Umschweife und zu allererst den Bullshit richtig stellen, den ich hier im Blog als jüngeres, fehlbares Ich verzapft hab. Doch mein jugendlicher Leichtsinn kann warten, eure Asozialität ist da definitiv mehr Grund sich hier zu Wort zu melden.

Hatte ich vor wenigen Tagen wirklich noch das First World Problem, mich nicht entscheiden zu können, mit welchen Themen ich anfangen soll, so hat des Deutschen Dummheit mir dies nun ganz souverän abgenommen. 
Wir kennen uns schließlich aus mit dem Gefühl, dass uns jemand was wegnimmt. Nicht, dass es berechtigt wäre, denn schließlich haben wir alles was wir brauchen. Aber es könnte ja sein…

Quelle: Facebook
Scherz beiseite: Uns Deutschen geht es gut, solange wir etwas haben, worüber wir wie Dreizehnjährige in der sechsten Schulstunde lamentieren können.
Aber wehe Dem, der uns etwas wegnimmt. Wehe Dem, der an unserem wohlverdienten und hart erarbeiteten Wohlstand rummäkelt, an unserer endlos verschachtelte Rabbithole-Bürokratie bastelt oder dem, der unsere Weltoffenheit kritisiert. Denn wir sind ja so wahnsinnig tolerant - zumindest solange alles so bleibt, wie es ist!

Wir sprechen heute über das Bürgergeld, seine Erhöhung und darüber, warum ihr meinen Facebook-Feed mit eurer Hasshetze und euren fehlgeleiteten mathematischen Ambitionen vollmüllt. 
Für jene, die mit dem Kopf unter der Decke leben: HartzIV heißt jetzt Bürgergeld und steigt in diesem Jahr auf knapp 500 und im nächsten auf etwas über 560 Euro.

„Jetzt kriegen die noch mehr Kohle für‘s Nixtun!“ muss ich da lesen. Beispiele wie: „Als Maler mit einer 40 Stunden Woche verdiene ich 160 Euro weniger. Wieso sollte ich da noch arbeiten?“ kursieren. Expliziete Auflistungen von Einkommen und Ausgaben, an die man sonst in öffentlichen Unterhaltungen niemals heran kommen würde, denn über Geld spricht man nicht! Zumindest nicht, solange man noch glaubt, finanziell besser dazustehen.

Menschliche Abgründe tun sich auf, voller Missgunst und Wut. Die sagenumwobene Gestalt des mittelständischen Arbeiters erhebt sich und seine Mistgabel, schürt Fackeln und türmt den Scheiterhaufen auf. Und warum das alles? Weil arbeitsloser Abschaum in Saus und Braus lebt, von Urlaub zu Urlaub fliegt und besten Wohnraum zu günstigsten Preisen abgreift,- alles auf Kosten des hart arbeitenden und fügsamen Rädchens im Getriebe unserer Gesellschaft? Wie können sie nur, diese faulen Schmarotzer!?

The Porteous Mob, Gemälde von James Drummond, 1855
Meinen Fingern wird schon vom Tippen schlecht. Könnt ihr nachvollziehen, wie sehr mich dieser gedankliche Abfall triggert? Nicht? Dann lasst uns zurückkehren zur ernüchternden Realität:

Wir erleben jeden Tag die großzügigen Privilegien eines reichen Sozialstaats, der uns mit ein bisschen Mithilfe die Befriedigung unserer menschlichen Bedürfnisse in Form von staatlicher Unterstützung garantiert, selbst dann, wenn wir dies aus eigenem Antrieb nicht können. Geboten werden Bildung, medizinische Versorgung, Lebensmittel und Wohnraum, Kultur und Sport. Alles was du dafür tun musst, ist dein Innerstes nach Außen zu stülpen und jeden Atemzug, den du tust, auf Papier festzuhalten und einzureichen. Ein kleiner Preis für allumfassende Versorgung, aber ganz sicher keine Annehmlichkeit
Denn so viel sei gesagt: Staatliche Unterstützung ist keine angenehme Freizeitbeschäftigung; erst recht dann nicht, wenn das einzige was du noch besitzt, das Überbleibsel deiner Würde ist. 

Diesen Luxus nicht beanspruchen zu müssen, weil wir selbst unseren Lebensunterhalt bestreiten können, lässt uns gerne vergessen, dass es jeden treffen kann. Denn nur weil es Schmarotzer gibt, bedeutet dies nicht, dass alle Sozialleistungsempfänger sich diesen Umstand ausgesucht hätten. 
Du kannst jederzeit in eine Krise stürzen, krank werden, falsche Entscheidungen für dich und dein Leben fällen oder von Konsequenzen getroffen werden, die du nicht in der Hand hast. Wer sein Schicksal herausfordern und das bestreiten möchte, kann auf seinem hohen Ross gerne hinfort, zurück in seine eigene Phantasiewelt reiten.

Hier im Rotlicht bleiben wir in der Realität. Einer immer kostspieligeren Wirklichkeit, in der Begriffe wie Inflation und fossile Brennstoffe zum Alltagsvokabular mutiert sind. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass in den vergangenen zehn Jahren mal etwas gesunken wäre; weder Preise, noch Temperaturen oder der Meeresspiegel. 
Und wir rennen diesen Begriffen nach, - Inflation, Wirtschaftswachstum, Leistungsgesellschaft - immer schneller, noch produktiver, denn wir müssen mithalten im sich immer schneller drehenden Hamsterrad der alles verschlingenden Maschinerie. Stolpern wir, fallen wir raus. Und da wartet schon das nächste Frettchen auf der Suche nach seiner Chance für das persönliche Glück. Anstatt einander aufzuhelfen, trampeln wir übereinander hinweg, denn man muss ja auch an sich selbst denken.

Quelle: Hartiv.org
Saufen und rauchen ist heute preiswerter, als anständig zu essen. Also hat die Politik endlich mal eine richtige Entscheidung getroffen, und das Bürgergeld erhöht. Und anstatt uns darüber zu freuen, dass unser staatliches Sicherheitsnetz engmaschiger und sicherer für uns alle geworden ist, spucken wir auf jene, die es brauchen.
Was ist das bitte? Ich würde gern sagen, dass ich nicht verstehen kann, wie Menschen so missgünstig und asozial sein können, vor allem, wenn sie dann ihre populistische Scheiße im Internet verbreiten. 
Aber ich verstehe es schon ein bisschen.

Ich erinnere mich daran, wie aus aus dem Arbeitsuchenden der Arbeitslose wurde. Wie aus einem vielleicht unglücklichen Umstand deine vermutlich selbstverschuldete Schande wurde und das Mitgefühl der Wut wich. 
Worte haben Macht, und unsere Emotionen folgen ihrem Ruf.
Und abgesehen davon, ist es natürlich auch immer leichter, nach unten zu treten, als nach oben zu buckeln.

Denn seien wir mal ehrlich: Der Maler verdient ja nicht weniger, nur weil es mehr Bürgergeld gibt. 

Doch es wird ihm bewusst, dass er in Relation zum Leistundempfänger, der nichts tut für sein Geld, wirklich schlecht abschneidet, mit seinen 40 Stunden in der Woche für 160 Euro weniger im Monat. Hinsichtlich dieser Bespielrechnung ist das natürlich ein Grund sich aufzuregen! Ernsthaft, wer steht dafür morgend auf?
Bis hier hin sind wir alle einer Meinung.

Die einzig wichtige Frage, die den Deutschen plagt, ist doch: Wer ist denn da jetzt Schuld? 
Der Leistungsempfänger mit seinen paar Kröten mehr im Monat, die zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig sind? Eine wunderbar angenehm leichte Antwort, mit reichlich Lammenti-Potenzial. Aber sie ist falsch.
Die unangenehme Wahrheit ist doch, dass der Chef vom Maler einen beschissenen Lohn zahlt. Vom Geben wird eben keiner reich, so heißt es in der Redensart.
Schuld ist vielleicht auch der Maler selbst, der sich unter Wert verkauft. Dieser könnte seine ohne viel Aufwand angehäufte Frustration dem Leistungsempfänger gegenüber, nutzen und sie der blaublütigen Suppe aus CEOs und Personaldienstleistern um die Ohren pfeffern und das fordern, was längst fällig ist:

Mehr Geld für das gut funktionierende Rad der Gesellschaft.

Nicht: Weniger Geld für das schwächste Glied in der Kette, das unser Sozialstaat zu schützen verspricht.
 
Quelle: dgb.de
Denn eigentlich kennen wir doch alle die hübschen Diagramme zur Inflation in denen alles rapide steigt, außer unseren Löhnen. 
Es sind die, die davon profitieren, die wir fragen sollten: „Warum sollten wir für 160 Euro weniger im Monat arbeiten gehen?“
Alles andere ist meiner bescheidenen und ungefragten Meinung nach Victimshaming, wie man heute so schön sagt.
Und die Argumentation Bedürftige zu haten, weil es faule Eier gibt, ist als würde man Vergewaltigungsopfern grundsätzlich nicht glauben, weil es Lügner gibt... 
 
 
oh.. 
wait...
that's another topic 


2 Kommentare:

  1. Guter Beitrag! Wie war das noch: Lösungen statt Schuldzuweisungen!!
    Love & Peace

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  2. Man sollte die Ursachen direkt ansprechen. Kann jedoch verstehen wieso du dich das nicht traust. Trotzdem guter Text. Peace ✌🏻

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