Wer regelmäßig reinschaut, hat mein Naturell schnell durchschaut. Ich predige von Toleranz und Ehrlichkeit, Menschlichkeit und Empathie, lamentiere über Gerechtigkeit und gehe auf die Straße gegen Faschismus. Ein Gutmensch, Möchtegern-Rebell, eine Linke Zecke, eben Eine von Vielen.
Ich lasse mich leicht mitreißen, wenn ich für etwas brenne und weil mir meine Impulsivität bewusst ist, hab ich mit den Jahren gelernt, dass ich ihr bei meiner Meinungsfindung nicht trauen kann. Dass Wahrheiten manchmal unterschiedliche Blickwinkel haben, deshalb aber nicht weniger wahr sind.
Ein schnell gefälltes Urteil ist meiner Erfahrung nach selten richtig. Und ich bin mir sicher: man muss nicht meine Werte teilen, um selbst schon einmal erlebt zu haben, wie einem die eigene Meinung mit besseren Argumenten und Fakten untermauert, geradewegs um die hochroten Ohren fliegt.
Und dann steht man da, schämt sich vor seinem eigenen Spiegelbild und muss erkennen, dass man falsch lag.
Erinnern wir uns alle ganz kurz zurück an unser Lieblingsjahr, 2020, und an unsere in Stein gemeißelten Ansichten zu Schnutenpullis* und Impfstoffen. Ich kann nur vermuten, wie es euch heute damit geht. Ich für meinen Teil weiß jetzt, dass ich bei Einigem falsch lag. Dass ich bestimmte Entscheidungen heute anders getroffen hätte. Und dass ich mich habe beeinflussen lassen.
Aber heute geht es nicht um Abstandsregelungen und Weltgesundheitsorganisationen.
Heute möchte ich über ein Thema sprechen, dass auf den ersten Blick wenig Interpretationsfreiheit zulässt, auf den Zweiten aber doch diskutabel ist. Eure Meinung interessiert mich brennend.
Denn heute sprechen wir über Zensur.
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Ist das Zensur? Bild: Wikipedia
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Trotz all unseres Aufgeklärtseins nutzen wir das Wort Zensur inflationär, gern in Kombination mit Fake-News und Lügenpresse. Es ist ein merkwürdige Konstrukt, dass wir gerne dem chinesischen Internet vorwerfen. Ein orwell‘sches Mysterium, dessen Verwendung nicht nur Autokraten, Diktatoren und terroristischen Vereinigungen vorbehalten ist - je nachdem, wen man fragt.
Nein, bleiben wir ernsthaft.
Wikipedia sagt über die Zensur, sie sei der Versuch der Kontrolle von menschlichen Äußerungen. „Sie führt bei Bedarf zu rechtskonformen oder außerrechtlichen Sanktionen, etwa zur Behinderung, Verfälschung oder Unterdrückung von Äußerungen vor oder nach ihrer Publizierung.“
Einfach gesagt bedeutet das, dass Du etwas sagst, schreibst, singst, filmst, malst,…. Und jemand anderes es verändert, unterschlägt oder verbietet. Das Warum spielt in unserer heutigen Unterhaltung nur eine hintergründige Rolle. Mir geht es eher um ihre Existenz selbst.
Wie jetzt? Ganz klare Sache! „Zensur ist schlecht!“ werdet ihr sagen. „Zensur ist verboten in einem Land der Rede- und Meinungsfreiheit.“
Doch an dieser Stelle möchte ich noch kurz auf den Wortstamm unseres heutigen Themas hinweisen. Das lateinische censura, bewdeutet laut PONS Rüge und Aufsicht, LEO ergänzt mit Tadel oder Kritik und Wikipedia mit „strenger Prüfung oder Beurteilung“.
Wir kennen alle die Zensur einer Klassenarbeit in der Schule und wenn es um Jugendschutz geht, ist Zensur richtig und wichtig - zumindest wenn wir Mütter fragen, die sich mit albtraumgeplagten Kindern rumschlagen müssen. Filmliebhaber auf der ganzen Welt nennen hier gern die Zensur als unliebsame Einschränkung ihrer Passion.
Ich bemerke dies hier nur als Reminder bezüglich übereifriger Urteile, zwinker, zwinker.
Denn jetzt zum Auslöser meines wochenendlichen Schreibergusses:
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Ist das Zednsur?
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Auf meinen Social-Media Plattformen geht’s grade ab, weil es wohl doch Nazis gibt, die lesen und schreiben können. Dieses Exemplar hat sogar ein ganzes Buch geschrieben, was man von seinem großen Idol nicht behaupten kann.
Da kann man jetzt mit seinen Klardaten bei Petitions-Guru Compact per Mausklick dafür kämpfen, dass das rechtsradikale Gedankengut auf Amazon verboten, also zensiert wird.
Mal abgesehen davon, dass ich den Kampf per Mausklick überaus faul und opportunistisch finde, möchte ich mal kurz bemerken, dass WeAct sich da ruhig eine Scheibe von seinen politischen Gegnern abschneiden dürfte. Die haben schließlich einfach alles verbrannt, was ihnen nicht passte. Das ist deutlich effektiver und zu Zeiten der Energiekrise auch noch eine Win-Win-Lösung.
Nicht witzig? Wieso denn nicht?
Ahhh, verstehe. Ist nicht cool den Linken Nazimethoden an die Hand geben zu wollen. Wer will schon gleichgesetzt werden mit Menschen, die Andersdenkende verfolgen und vergasen?
Dennoch kann man sich nicht nur die politischen Rosinen rauspicken und behaupten, dass wäre dann Käsekuchen. Wir wissen doch schließlich alle: Angefangen hat es nicht mit Gaskammern. Sondern Mit Verbot und Zensur, mit Ausgrenzung und Feindbildpropaganda.
Und hier die Frage die mich Kopf und Kragen kostet: Sind wir besser? Ist meine Unterschrift gegen rechtsextremer Literatur eine genehme Rechtfertigung für die Zensur? Oder ist Zensur einfach diese und hat in einem freien Land wie Unserem nichts zu suchen?
Versteht mich nicht falsch! Wenn’s nach mir ginge könnten wir alle Faschisten auf eine Insel am Arsch der Welt verfrachten, die Tore abschließen und den Schlüssel wegwerfen. Aber es geht nicht nach mir und auch wenn ich mich tagtäglich über diesen menschlichen Abschaum echauffiere, muss ich des Gleichheitsprinzips wegen wohl zähneknirschend tolerieren, dass er seine Daseinsbefugnis hat. Oder etwa nicht?
Ich gebe Euch ein anderes Beispiel: Entertainerin und Mother of Drag, RuPaul, hat kürzlich den Online-Bookstore Allstora geschaffen. Hier sollen Inhalte von Authoren und ihren Werken rund um LGBTQ+ unzensiert und vorurteilsfrei zu erwerben sein, denn dies, so bemängelte die Drag-Queen, sei auf Plattformen wie Amazon nicht gegeben. Der beliebte Onlinehändler nimmt es sich raus bestimmte Inhalte nicht zu verkaufen. Dazu gehören Inhalte, so die Amazon Richtlinien für Bücher, „bei denen wir zu dem Schluss kommen, dass sie Hassrede enthalten, den Missbrauch oder die sexuelle Ausbeutung von Kindern fördern, Pornografie enthalten, Vergewaltigung oder Pädophilie verherrlichen, Terrorismus befürworten oder auf andere Weise unangemessen oder anstößig sind.“
Soso, unangemessen und anstößig. Ich lasse das mal kurz wirken…..
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Mother of Drag, RuPaul
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Um dieser Zensur entgegen zu wirken, hat RuPaul Allstora ins Leben gerufen. Doch hier hast du nicht nur Zugriff auf Literatur, die das queere Herz höher schlagen lässt. Denn die Mutter der Drag-Queens, bekannt durch Shows wie RuPaul‘s Drag Race, macht es doch meiner Meinung nach richtig. Und konsequent.
Hier bedeutet keine Zensur auch eben solche. Du findest hier nicht nur LQBTQ+ Literatur, sondern auch das krasse Gegenteil: Beispielsweise das nicht von Hitler verfasse Mein Kampf oder antifeministische Werke des Authors Matt Walsh. Dafür hagelt es ordentlich Kritik. Paradoxe Kritik, wenn ihr mich fragt. Denn du kannst doch nicht eine Bibliothek gründen um der Zensur zu entfliehen, um dann all das zu zensieren, was nicht in deine Weltanschauung passt.
Blicken wir der Wahrheit ein Fazit ziehend ins Auge: Indem wir versuchen sie aus unseren Gesellschaften zu verbannen, hören weder Nazis, noch Drag-Queens auf zu existieren. Es wird immer Abtreibungen und Prostitution geben und jene, die beides verurteilen und verbieten. Was für die einen Verfassungsschutz ist, zeigt sich anderen als Zensur. Der Mensch bleibt so dumm wie er vielseitig ist und so sehr wir uns wünschen, er wäre anders, er bleibt so.
Und Zensur bleibt Zensur. Auch wenn der Author ein Nazi ist. Oder nicht?
Inwiefern sind wir anders? Warum glauben wir, das Recht auf unserer Seite zu haben? Und wieso fühlt sich das für mich falsch an; auch oder besonders weil es hier um rechtes Gedankengut geht?
Wenn alle eine Meinung haben dürfen, nur die Faschisten nicht, macht uns das dann nicht selbst zu welchen?
AFD verbieten oder nicht? Darf man das? Bringt das was?
Das wirft so viele Fragen auf, in deren Verlegenheit sie zu beantworten wir eigentlich nicht hätten kommen dürfen. Wo wir doch so tolerant sind, und jeder eine Meinung haben darf.
Und hilft es überhaupt irgendwem, sich diese Frage zu stellen?
Ja, hinterfrage alles, sei kein Schlafschaf, informiere dich… aber gehört dazu nicht erstmal ein Diskurs?
Vielleicht ist das ein merkwürdiger Ansatz meinerseits, doch stellt euch mal vor wie es wäre, wenn wir unangenehme Gesellschaften anhören statt ignorieren oder verbieten wollen würden. Also so ganz ohne Zensur.
Ich meine, wenn man Abschaum… äh Abgeordneten zuhört, entpuppen diese sich doch schnell als das was sie sind - emphatielose und weltfremde Idioten, die nicht für zwei Meter in unseren Schuhen laufen würden.
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"Wer wischt denn der Mama jetzt den Arsch ab?"
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Vielleicht ist es einfach Zeit sie reden zu lassen? Damit ihre Anhänger begreifen können, dass Löschkalk keine Lösung ist, wenn die ganze Welt dich hasst. Lasst sie sich um Kopf und Kragen Probleme beim Namen nennen, lasst sie Bücher darüber schreiben. Und dann fragt mal nach, was der Künstler sich dabei gedacht hat.
Ich vertraue darauf, dass auch einem Glatzenharald irgendwann der Springerstiefel beim Polieren aus den Händen fällt, wenn ihm bewusst wird, dass Lamentieren keine Lösungen bringt.
Nur Lösungen bringen Lösungen...
Und dann begreift er, dass Memet für ihn kocht, Olga seine Mutter pflegt und Raj ihm sein Telefon wartet und dass er nichts davon selber kann oder machen will. Und wenn er dann auch noch ein bisschen gesunden Menschenverstand, und die uns mutmaßlich vom Tier unterscheidende Fähigkeit zum Empfinden von Empathie hat, passt’s auch wieder mit den Umfragewerten.
Und alle leben glücklich bis an ihr Lebensende....
Eure Meinung interessiert mich da sehr.
Wo fängt Zensur an und wo hört Schutz auf? Gilt das für alle und alles gleichermaßen? Oder ist das Eine schützenswerter als das Andere? Und wenn ja, warum ist das so? Schmeißt mir eure Meinung in die Kommis.
* Schnutenpulli = Mundschutz
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