Montag, 10. September 2012

The Wind That Shakes The Barley

Immer, wenn es so in Richtung Herbst-Winter geht, stellt sich bei mir so eine Art Trance ein. Wenn die Leichtigkeit des Sommers von einem abfällt, wie die Blätter an den Bäumen, werde ich immer ein kleines bisschen melancholisch. Nicht depressiv. Melancholisch.

Ich muss dann häufig daran denken, wie ich als Kind diese Zeit verbracht habe. Und dann schau ich mich um und sehe, wie sehr sich das alles verändert hat.

Kids heute... Göttin, das klingt als wäre ich 42! Aber trotzdem! Kids heute hängen im Herbst vorm Rechner, verblöden beim Glotzen vor der Mattscheibe, nerven ihre Eltern mit Sätzen wie "Mir is' langweilig" und geben Leuten wie mir das Recht zu behaupten, früher sei alles besser gewesen.

Ging auch mal daneben, aber wir leben alle noch.
Was hab ich damals gemacht? Na, meine Kindheit genossen! Ich bin regelmäßig von Bäumen in die Gräben gefallen, weil die Äste bei zunehmender Feuchtigkeit glitschig wurden. Das war kein Weltuntergang. Damals trug ich noch extra Klamotten zum spielen. Die durfte ich vollsaun.
Ohja, und das habe ich. Das Höhlen bauen wird ja auch eine ziemlich dreckige Angelegenheit wenn es regnet. Noch dreckiger wurde es, wenn besagte Höhlen über mir einstürzten.
Meine Fingernägel waren schwarz von der Rinde irgendwelcher Stöcker, die ich mit meinem Schweizer Taschenmesser zerschnizte. Wurzeln und modrige Äste, die ich aus dem benachbarten Sandhügel riss, wurden zu Drachen und anderen Monstern, die mit mir auf Abenteuerjagd gingen..

Er hier erzählt tolle Geschichten :)
Natürlich spielte ich auch mit den anderen Kindern vom Dorf. Wir stürmten heimlich die Weiden der Bauern und ritten ihre Pferde, ohne Sattel oder Trense, einfach im Galopp wohin auch immer die Tiere uns trugen - bis man uns von den Weiden jagte.

Aber um meiner damals grenzenlos scheinenden Phantasie freien Lauf zu lassen, spielte ich am liebsten allein.

Können Kinder das heute noch? Trinken sie Tee am Baumstumpf mit Schnecken und Waldwesen aus Blättern und Moos? Finden sie Schätze unter Haufen von Ästen, in denen die Igel sich verkriechen? Schleichen sie auf allen Vieren durch den 30 Zentimeter tiefen Schnee, weil sie sich als Säbelzahntiger an die Urzeitpferde heran pirschen? Hach, ja das war herrlich damals... in meinem Kopf lief dabei immer ein Dokumentarfilm ab... Ich liebte Dokumentarfilme! Und während der Schnee mittlerweile meine Winterkleidung durchnässt hatte, kommentierte eine tiefe männliche Stimme in meinem Kopf: "Auf seiner Jagd nach Urzeitpferden ist der Säbelzahntiger äußerst geduldig, denn er hat nur Energie für einen Angriff. Wenn er diesen vermasselt, wird er während des kalten, harten Winters verhungern."

Ab auf die Pirsch!

Oh, es war eine tolle Zeit. Mehr denn je, wenn ich mich jetzt umsehe und feststelle, wie wenig Kind die Kinder heute noch sind. Sie haben die Fähigkeit verloren sich an der Natur zu erfreuen. Sie sehen keine Gesichter in Astlöchern, retten keine verletzten Vögel... Sie stehen nicht im Weizenfeld und spüren das Kitzeln der Gräser, wenn der Wind hindurchfährt. Sie haben keine Phantasie.

Das macht mich sehr traurig.

Und das ist einer der Gründe, weshalb ich meiner Familie heute dafür danke, ganz hinterwäldlerisch auf dem Dorf groß geworden zu sein. Zwischen Kuhkacke und Weidezäunen, in Baumkronen oder Melkställen, auf Pferden und Dächern, lachend, singend, weinend und vor allen Dingen kindlich.

2 Kommentare:

  1. Hi, ein wahrlich wunderschönes & ehrliches Text-Meisterwerk zum Leben. Danke dafür und liebe Grüsse aus Bochum.

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