Mittwoch, 16. Januar 2013

And She Bled


J-J-J-Janis Joplin!
Die Musik ist alt, die Atmosphäre trashy, das Publikum weit über den Turn der letzten Line hinaus - der richtige Moment, um die Nacht, oder besser gesagt den Morgen, mit einem unverfänglichen Fick abzuschließen. Während Janis ihr "Please please please please, whoa please, please. Whoa, honey it can't be" durch kratzende Boxen in die Welt entlässt, steht Nora bereits bei einer Gruppe ihr mehr oder weniger bekannter Leute und sucht sich in alt bekannter Manier ein "Opfer" aus.

Mehr oder weniger bekannt sind ihr die vier jungen Männer und die zwei eher uninteressanten Frauen deshalb, weil Nora eine Streunerin ist. Nicht umsonst eilt ihr ihr Ruf in Siebenmeilenstiefeln vorraus; erst recht nicht in einem Nest wie Fulla, in dem nichts lange ungesehen, und niemand lange unbekannt bleibt. Nora ist das alles ziemlich egal. Sie ist 19. Sie ist unkaputtbar und die Welt, inklusive all der gutaussehenden Männer, gehört ihr.
Insgeheim ist es ihr sogar recht. Denn Nora ist von dem Schlag Mensch, der keinen Wert auf viel Mitgefühl legt und dem das Reden um den heißen Brei zuwider ist. Image ist ja bekanntermaßen alles. Sollen sie ruhig wissen, dass sie ein leichtes Mädchen ist. So spare sie sich zumindest den Smalltalk, erklärt sie, wenn sie von ihren Errungenschaften des vergangenen Wochenendes erzählt.

Quelle: thefrisky.com
Und überhaupt: Die Uhrzeit spricht gegen süßholzraspelndes Gesäusel. Deshalb macht sie den Jungs direkt klar was sie will. Sie lacht viel, verschenkt aufreizende Blicke und auffällig unauffälle Berührungen. Scheinbar ist aber das Partylevel des Typen mit der Nerdbrille und den zurückgegelten Haaren sowie seinen Freunden lange nicht so weit fortgeschritten wie Noras, denn er reagiert schüchtern. Das er kein Interesse hat, kommt Nora überhaupt nicht in den Sinn. Sie ist heiß. Wer kann sie da nicht wollen?

Sein Kollege sieht das offenkundig anders. Er ranzt Nora von der Seite an:

"Dein billiges Gebaggere zieht hier nicht. Also nimm den Mund mal nicht so voll"

Was durch Noras Gehörgang saust und in ihrem Kleinhirn ankommt, sind weder böhmische Dörfer noch Bahnhof, sondern eher weißes Rauschen. Das einzige, was sie sich dazu denkt ist, dass Männer es im allgemeinen lieben, wenn sie den Mund voll nimmt. Währenddessen zickt der aufdringliche Kollege weiter:

"Wer zieht denn morgens um halb sechs durch die Disco auf der Suche nach 'nem Fick? Hast du dir die Leute mal angesehen?" Seiner eher rhetorische Frage verleiht er einen Hauch von väterlichem Pseudointellekt.

So, oder so ähnlich sieht es morgens um 6 in der Disco aus
Hatte Nora. Und zwischen all den hängengebliebenen Mid-Dreißigern und den Schnapsleichen war er ihr nicht aufgefallen. Durchschnittstyp. Nichts Besonderes. Aber seine "Abneigung" turnt sie an - ein Phänomen dessen sich Nora durchaus bewusst ist. Allerdings hatten bereits Drogen und Alkohol ihren Teil getan und dementsprechend gleichgültig ist es ihr.

Sie lässt also von ihrer ursprünglichen Beute, dem gegelten Nerd, ab und konzentriert sich auf die Durchschnittszicke, soweit ihr überdrehtes Hirn es noch zulässt. Mit seinen rotbraunen Haaren und den weichen Gesichtszügen ist er überhaupt nicht ihr Typ. Who cares? Die Mischung aus Tequila, Kokain und Hasch lässt nicht mehr viel Fingerspitzengefühl zu,  und so macht sich Nora auf den direkten Weg zum Ziel.

"Quatsch mich nicht voll. Lass uns ficken geh'n oder halt' die Klappe."

Oh ja, das ist der Rausch, der aus ihr spricht. Manchmal macht das Probleme.

Er hält die Klappe. Kann er sein Glück nur nicht fassen oder wieso glotzt er so dämlich? Die Situation wird Nora merklich zu blöd. Sie verdreht die Augen, ihr betäubter Verstand stößt jeden Anflug von Konzentration von sich und sie verliert das Interesse. Vielleicht doch einfach ins Taxi steigen und pennen?
Sie lässt die jungen Männer stehen und torkelt die gewundene Steintreppe in den Keller der Diskothek runter, ins Damenklo, um im Spiegel zu betrachten, was der Depp gerade hat sausen lassen. Nora findet, dass sie gut aussieht. Natürlich. Zumindest prügelt ihre gepushte Wahrnehmung ihr das ein. Und ihr vollkommen überspitztes Ego.
Und als säße ein Teufel in der Ecke, der ihre Unverfrorenheit feiert, hört sie in diesem Moment seine Schritte. Geht doch, denkt sie sich selbstgefällig, ergreift ihn wortlos am vorderen Hosenbund und verschwindet mit ihm in einer der Kabinen.

Quelle: iStockPhoto

Nora ist zufrieden. Nicht, dass sie in ihrem Zustand noch guten von schlechtem Sex unterscheiden kann, doch sie hat letztendlich ihren Willen bekommen. Und irgendwie scheint das an Befriedigung auszureichen, um sie sich noch während sie fast die Toilettentür aus den Angeln reißt und sich auf ihr Steißbein spritzen lässt zu entscheiden mit zu ihm zu gehen. Nach dem Sex ist vor dem Sex, ist Noras Motto.

Er hat ein Zimmer in einer WG. Seine Mitbewohner schlafen. Kein Grund leise zu sein - für Nora sowieso nicht. Und für ihn scheinbar auch nicht. Während sie ihn reitet kommt er auf Hochtouren und genießt seine mit wenig Aufwand erlangte Glückseeligkeit. Und dann bekommt sie Nasenbluten. Einfach so.
Prima, denkt Nora sich, das hat sich ja total gelohnt - weil sie befürchtet, dass es das war mit ihrem Guten-Morgen-Fick. Doch sie wird überrascht.

Er schmeißt sie von sich, als er das Blut auf seiner Brust und in ihrem Gesicht sieht, und greift nach einem T-Shirt, das neben der Matzratze liegt. Er drückt es Nora ins Gesicht und dreht sie gleichzeitig um. Nora versteht das. Sie würde sich das Elend auch nicht ansehen wollen. Sie presst das Shirt in ihr Gesicht und ihr Hinterteil an den mehr oder weniger fremden Mann hinter ihr, der sogleich da weiter macht, wo er kurz vorher stehen geblieben war.

Irgendwie ungeil, oder?
Der kann ja doch was, denkt sich Nora hocherfreut. Ich blute vor mich hin und habe meinen Spaß. Wirklich. Selten habe ich so einen gelungenen Freiwild-Stecher aufgetan - und das morgens um halb sechs in der Disse? Nein, der Typ, dessen Namen Nora noch am selben Tag vergessen wird, hat nämlich Recht. Eigentlich ist da kaum was Fickbares aufzutreiben.

Als sie enzückt kreischend zum Höhepunkt kommt, zieht er dann doch einen Schlussstrich. Soll mir recht sein, denkt sich Nora. Er schmeißt sich schnaubend auf sein Bett und schläft fast augenblicklich ein.
Die 19-Jährige hat ihr Ziel erreicht und hat somit keinen Grund mehr zu bleiben. Die Zicke auf der Matratze fängt augenblicklich an zu Schnarchen, um diese Tatsache zu unterstreichen.

Mittlerweile ist es halb neun. Spitternackt und mit ihren sieben Sachen im Arm tritt Nora in die typische WG-Küche, in der sein Mitbewohner sitzt. Die beiden grinsen sich neckisch an und er bietet ihr das Bier an, das er sich soeben geöffnet hat. Student müsste man sein.
Während Nora sich, nun doch langsam dem Kater erlegen, beginnt anzuziehen, ignoriert sie die geifernden Blicke und die eindeutigen Sprüche des doch recht gutaussehenden Mitbewohners und nippt an ihrem Bier. Kurze Zeit später schiebt er ihr seine Nummer zu.

Don't stop bleeding, Che :)
Das blutige Shirt nimmt Nora mit, als sie geht. Die Flecken gehen niemals heraus. Vielleicht hänge ich es mir an die Wand, denkt sie bei sich und schmunzelt. Der blutige Ché hat Stil..
Die Nummer schmeißt sie weg. Die hat irgendwie keinen Stil, findet sie. 

Das ist ihr Ding. Nora ist 19. Sie ist unkaputtbar und alles andere als einsam oder unzufrieden.



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